Aggressives Verhalten beim Hund
Hunde sind unsere besten Freunde, schon seit vielen tausend Jahren. Wir haben aus einem Wolf, dem Urahnen des Hundes, einen freundlichen und wenig aggressiven Lebensgefährten gezüchtet.
Gelegentlich eigentlich ist in Zeitungen von einem Hund zu lesen, der gebissen oder sogar einen Menschen tödlich verletzt hat Warum tut ein Hund so etwas? Neben dem Verwendungszweck „Freund und Lebensgefährte" wurden Hunde auch immer zur Arbeit gezüchtet, zum Hüten, zum Jagen, zum Schutz. Ihr aggressives Verhalten war bei diesen Tätigkeiten durchaus erwünscht und sogar gefordert und wurde daher gezielt gezüchtet. Tritt aggressives Verhalten also nur bei Hunderassen, die eigentlich arbeiten sollen auf und kommt dann unglücklicherweise bei anderen Hunden auch vor, oder gibt es noch andere Ursachen?
Wozu aggressives Verhalten dient
Manchmal hilft es ja, geduldig zu warten, bis man das bekommt, was man möchte. Voraussetzung dafür ist, dass der Besitzer des Gegenstandes das bemerkt und darüber hinaus auch bereit ist, diesen abzugeben. Was aber, wenn dieser nicht im Traum daran denkt oder jetzt, in der Konkurrenzsituation, ganz bestimmt nicht abgeben will? Dann muss energischer oder vielmehr aggressiver auf sich und seine Wünsche aufmerksam gemacht werden. Das gilt für jedes Lebewesen, welches mit Artgenossen zusammenlebt, auch für den Hund. Aggressives Verhalten dient dem Hund dazu, eine Ressource zu bekommen oder zu behalten. Ressourcen sind Futter, Wasser, Spielzeuge, aber auch Zuwendung, Nähe oder ein netter Ruheplatz.
Diese Wahlmöglichkeiten werden als die vier F bezeichnet: fight, flight, freeze, flirt (kämpfen, fliehen, erstarren, flirten).
Wie ein Hund das zeigt
In einer Debatte mit einem anderen Hund und natürlich auch dem Menschen bedient sich der Hund aggressiver Verhaltensweisen, um die Nachhaltigkeit seiner Wünsche auszudrücken. Beim Leben in der Gruppe wäre es fatal, wenn bei jeder Auseinandersetzung ein Kampf auf Leben und Tod entbrennen würde. Im Laufe der evolutionären Entwicklung haben sich daher gewisse Rituale herausgebildet. Droh verhalten, ausgedrückt durch die Körpersprache des Hundes und durch Lautäußerungen untermalt, machen das Befinden des Hundes und seine Kampfbereitschaft einem potenziellen Gegner deutlich. Generell kann man offensives und defensives Drohen unterscheiden, es gibt aber alle möglichen Mischformen. Auch ein schneller Wechsel von defensiv zu offensiv und umgekehrt ist möglich.
Offensives Drohen erkennt man durch Sträuben der Hals- und Nackenhaare, maximal gestreckte Beine und Anheben des Schwanzes. Die Lefzen werden hochgezogen und die Zähne im vorderen Bereich gezeigt, wobei die Maulwinkel kurz und rund sind. Der Gegner wird starr fixiert, und die Ohren sind nach vorne gerichtet. Knurr- und Belllaute können diesen Drohausdruck ergänzen.
Defensives Drohen erkennt man an einer langen Maulspalte, die spitz zuläuft und alle Zähne entblößt. Das Tier duckt sich, der Schwanz wird zwischen die Beine gezogen. Die Ohren liegen am Kopf an und sind nach hinten gezogen.
Droht ein Hund defensiv, kann er plötzlich die Flucht ergreifen und damit eine Auseinandersetzung vermeiden. Er kann aber auch plötzlich angreifen, um den Überraschungseffekt auszunutzen. Der Hund schwankt zwischen beiden Möglichkeiten und wählt die für ihn erfolgreicher erscheinende Methode. An der Leine hat er keine Fluchtmöglichkeit, kann also auch nur angreifen, wenn man ihn bedrängt.
Im Gegensatz zum Wolf, der sehr differenziert kommunizieren kann, haben unsere Haushunde schon rassebedingt Schwierigkeiten. Lange Haare hängen über der Maulspalte, bedecken die Augen und hängen am Körper herab. Geschichtsfalten oder züchterisch erzeugte Rückenhaare erwecken den Ausdruck des Dauerdrohens, selbst wenn sich der Hund ganz entspannt fühlt. Vom Standpunkt des Hundes gesehen sind die für uns oft so schön anzusehenden optischen Rassemerkmale eine Behinderung in ihrer Sprache - Hundelegastheniker sozusagen.
Viele Hunde könnten mehr körpersprachliche Differenziertheit einsetzen, da sie durchaus über die anatomischen Voraussetzungen dazu verfügen, sie tun es aber nicht. Vermutlich wurde durch die Zucht ihre allgemeine Fähigkeit dazu reduziert. Sie haben im Alltagsgebrauch wenige Gelegenheiten zum Einüben und Verfeinern, da wenige Hundekontakte dazu nicht ausreichen und eher ein kurzer aggressiver Signalaustausch auf der Straße mit Artgenossen stattfindet. Für Menschen lohnt sich diese Mühe sowieso nicht, da Menschen kaum auf Defensivdrohen reagieren und selbst Knurren und Zurückweichen oft ignorieren und weiter auf den Hund zugehen. Ein Defensivangriff ist dann die natürliche Folge.
Situationen, die zu aggressivem Verhalten führen können
Aggressives Verhalten ist für den Hund völlig normal und notwendig. Es wird gezeigt um Wünsche und Gefühle auszudrücken, und liefert Informationen, ob und mit welcher Intensität eventuell angegriffen wird. Aggressives Verhalten ist daher nicht nur Zubeißen. Es ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von körperlichen Ausdrucksformen und Verhaltensweisen des Hundes, die individuell angepasst an die Situation gezeigt werden.
Aggressives Verhalten wie Bellen oder Knurren ist für den Menschen noch nicht gefährlich, muss aber unbedingt beachtet werden, da der Hund seine Mittel steigern könnte, wenn er ignoriert wird. Ein Abwehrschnappen oder festes Zubeißen kann zu schweren Verletzungen des Menschen führen und sollte niemals provoziert werden. Bissverletzungen werden häufig durch Fehleinschätzungen und Missverständnisse verursacht. Der Hund erachtet etwas als kostbare Ressource und versucht, sie zu verteidigen. Er befürchtet, dass der Mensch sie ihm streitig machen will, und warnt durch aggressives Ausdrucksverhalten. Der Mensch ignoriert das - und der Hund schnappt oder beißt zu, je nach Charakter und Gefahreneinschätzung des Hundes. Ein typisches Beispiel dafür ist das Verteidigen von Welpen durch die Mutterhündin, das Verteidigen eines Knochens oder Spielzeugs, aber auch das Bewachen des Hofes gegenüber Fremden. Im Spiel kann ein Hund sehr wildes Verhalten bis hin zu aggressivem Verhalten zeigen. Die Übergänge sind oft fließend. Nur am Rande erwähnt werden soll, dass aggressives Verhalten natürlich auch erwünscht und antrainiert sein kann. Die zunächst (hoffentlich) erlernte Beißhemmung gegenüber Menschen wird dann wieder abtrainiert. Für Hunde mit Wachaufgaben, also z. B. Polizei-oder Zollhunde, ist das Zubeißen-Können und -Wollen notwendig zur Erledigung ihrer Arbeit. Für das friedliche Zusammenleben von Hund und Mensch ist das Erlernen des Zubeißens jedoch kritisch, da in einer Konfliktsituation eine gelernte Reaktionsweise zur Verfügung steht, die wir im alltäglichen Miteinander eigentlich nicht haben wollen.
Aggressives Verhalten, bedingt durch Erkrankungen
Ein Hund kann durchaus unter Erkrankungen leiden, die sein Wesen so verändern, dass er plötzlich und ohne vorherige Anzeichen zubeißt. Erkrankungen des Gehirnes können zu plötzlichen Angriffen führen: Infektionen wie z.B. Tollwut, Stoffwechselerkrankungen, Parasiten oder Tumore. Diese Erkrankungen sind aber nur in den seltensten Fällen Ursache für einen Hundebiss. Häufiger tritt aggressives Verhalten im Zusammenhang mit Schmerzen, vor allem bei älteren Hunden, auf. Arthrosen, Bandscheibenvorfälle, akute Verletzungen oder auch Erkrankungen innerer Organe führen zu Unwohlsein und zum Rückzug des Hundes. Wird er bedrängt, obwohl er zurückweicht oder an einer schmerzhaften Stelle angefasst, schnappt er. Hormonelle Störungen z.B. der Schilddrüse können ebenfalls zu aggressivem Verhalten führen. Auch nicht vergessen werden dürfen Erkrankungen der Sinnesorgane, die zu schlechterer Wahrnehmung und damit einer gewissen Unsicherheit führen. Der Hund hört oder sieht schlecht und wehrt vorsichtshalber eine potenzielle Gefahr ab, vor allem wenn er überrascht wird. Bei Hunden, die jahrelang freundlich waren und plötzlich aggressiv reagieren, ist der Verdacht, dass eine Erkrankung vorliegt, sehr groß.
Was ist zu tun?
Prinzipiell sollten Warnungen des Hundes ernst genommen werden. Hat er Probleme mit fremden Menschen, muss man ihn sicher unter Kontrolle halten. Das Benutzen eines Maulkorbes vorübergehend oder in bestimmten Situationen ist für den Hund kein Problem, wenn eine gute Maulkorbgewöhnung durchführt wurde (siehe Merkblatt der TVT„Maulkorbgewöhnung"). Jeder Hund sollte für Notfälle gewappnet sein und einen gutsitzenden Maulkorb kennen. Der Stress einer Notsituation mit Behandlung beim Tierarzt wird durch wildes Um-sich-Beißen und durch anschließendes Zubinden des Maules oder Aufsetzen eines ungewohnten Maulkorbes noch verschärft. Ist der eigene, vertraute Maulkorb übergezogen, ist das für den Hund akzeptabel und bietet Schutz für alle, die sich dem Hund nähern müssen.
Reagiert ein sonst freundlicher Hund plötzlich aggressiv, sollte er unverzüglich einem Tierarzt vorgestellt und eine ausführliche Untersuchung, vor allem des Bewegungsapparates, vorgenommen werden. Da aggressives Verhalten des Hundes auch auf Missverständnissen beruhen kann, ist eine verhaltenstherapeutische Beratung sinnvoll. Viele Probleme können zu Beginn noch recht gut gelöst werden. Je stärker die Beziehung von Mensch und Hund belastet ist, desto schwieriger ist eine Problemlösung. Das gilt auch für die Fälle, in denen eine organische Erkrankung der Auslöser für aggressives Verhalten war.
Auch wenn die meisten Hunde ihr ganzes Leben lang nie aggressives Verhalten zeigen - ganz gleich, wie es ihnen geht und was mit ihnen passiert-, als Hundehalter sollte man immer damit rechnen. Aggressivität ist eine normale Verhaltensweise, die auf Probleme aufmerksam macht und nicht ignoriert oder bestraft werden darf.
Je besser sich Hund und Besitzer verstehen und je genauer auf den Hund geachtet wird desto besser kann auch vorgebeugt werden. Wissen über den Hund und seine Bedürfnisse hilft, belastende Lebensumstände für den Hund zu vermeiden, und ist damit der beste Schutz vor aggressivem Verhalten.
Hilfe bei Problemen:
Gesellschaft für Tier-Verhaltenstherapie e.V. GTVMT, www.GTVT.de
Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT)
Merkblatt „Maulkorbgewöhnung" Nr. 71